Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind seit einigen Jahren in das Zentrum politischer Auseinandersetzungen in Polen gerückt. Eine durch mehrere Wahlsiege legitimierte Regierung initiiert Politiken und mobilisiert Diskurse, die demokratische Prinzipien und Institutionen graduell aushöhlen. Durch das Zusammenwirken einer Vielzahl, mitunter sehr kleinteiliger, Eingriffe und Veränderungen verschieben sich die politischen Koordinaten sukzessive zum Nachteil der politischen und gesellschaftlichen Opposition. „Demokratie“ als Regierungsform wird nominell nicht in Frage gestellt, sie wird aber zunehmend zur Fassade hinter der sich eine sanft-autoritäre Transformation abspielt.
Mich interessiert, wie es hierbei gelingt, Loyalität und Zugehörigkeit herzustellen. Hierzu frage ich nach den Adressaten oder Zielobjekten sanft-autoritärer Politiken und Sprechweisen. Das Argument lautet, dass diese Regierungstechnik in erster Linie weder auf Gesellschaft – und somit auf einen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Gruppen und Interessen – noch auf Individuen – deren Potenziale und Eigenverantwortung es zu fördern gälte – ausgerichtet ist. Sanft-autoritäres Regieren zielt stattdessen auf die Erschaffung einer moralischen Gemeinschaft. Durch die selektive Zuteilung von Ressourcen, Anerkennung, Verpflichtung und Dankbarkeit wird das Kollektiv der „berechtigten Polen“ politisch konstruiert und affektiv abgesichert. Familien‑, Geschichts- oder Migrationspolitiken lassen sich dann daraufhin untersuchen, wie sie dieses Kollektiv „rein“ zu halten versuchen, seine Grenzen hingegen scharf markieren.
Diese Politiken der Differenz werde ich anhand meiner ethnografischen Beobachtungen zu jüngeren Auseinandersetzungen um Flucht, Migration und Grenze exemplarisch analysieren. Flüchtende und Migrant_innen aus dem Globalen Süden, die seit dem Sommer 2021 über die belarusische Grenze Zugang nach Polen suchten, wurden zum Zielobjekt von Entrechtung, staatlicher Gewalt und medialen Hasskampagnen. Die Regierung und ihre medialen Verbündeten versuchten diese Praxen durch einen kategorialen Ausschluss der Schutzsuchenden als legitim, wenn nicht sogar als notwendig, erscheinen zu lassen. Diese Prozesse der Rassifizierung möchte ich als Teil einer sanft-autoritären Herrschaftspraxis untersuchen: Sie schaffen antagonistische Andere und etablieren hierdurch zugleich eine durch Abwehr verbundene moralische Gemeinschaft, der gegenüber allein die Regierung Verpflichtung zeigt.
Wenn Sie an dieser Veranstaltung online teilnehmen möchten, wenden Sie sich bitte an Elisabeth Wolff unter e.wolff(at)stud.uni-goettingen.de