Moralis­che Gemein­schaft und Poli­tiken der Dif­ferenz. Ras­si­fizierung als san­ft-autoritäre Herrschaftspraxis

Dec72022

Time: 18:00

Loca­tion: Uni­ver­sität Göttingen

Addi­tion­al event info: Vor­trag von Dr. Jens Adam

Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind seit eini­gen Jahren in das Zen­trum poli­tis­ch­er Auseinan­der­set­zun­gen in Polen gerückt. Eine durch mehrere Wahlsiege legit­imierte Regierung ini­ti­iert Poli­tiken und mobil­isiert Diskurse, die demokratis­che Prinzip­i­en und Insti­tu­tio­nen gradu­ell aushöhlen. Durch das Zusam­men­wirken ein­er Vielzahl, mitunter sehr klein­teiliger, Ein­griffe und Verän­derun­gen ver­schieben sich die poli­tis­chen Koor­di­nat­en sukzes­sive zum Nachteil der poli­tis­chen und gesellschaftlichen Oppo­si­tion. „Demokratie“ als Regierungs­form wird nominell nicht in Frage gestellt, sie wird aber zunehmend zur Fas­sade hin­ter der sich eine san­ft-autoritäre Trans­for­ma­tion abspielt.

Mich inter­essiert, wie es hier­bei gelingt, Loy­al­ität und Zuge­hörigkeit herzustellen. Hierzu frage ich nach den Adres­sat­en oder Zielob­jek­ten san­ft-autoritär­er Poli­tiken und Sprech­weisen. Das Argu­ment lautet, dass diese Regierung­stech­nik in erster Lin­ie wed­er auf Gesellschaft – und somit auf einen Aus­gle­ich zwis­chen unter­schiedlichen Grup­pen und Inter­essen – noch auf Indi­viduen – deren Poten­ziale und Eigen­ver­ant­wor­tung es zu fördern gälte – aus­gerichtet ist. San­ft-autoritäres Regieren zielt stattdessen auf die Erschaf­fung ein­er moralis­chen Gemein­schaft. Durch die selek­tive Zuteilung von Ressourcen, Anerken­nung, Verpflich­tung und Dankbarkeit wird das Kollek­tiv der „berechtigten Polen“ poli­tisch kon­stru­iert und affek­tiv abgesichert. Familien‑, Geschichts- oder Migra­tionspoli­tiken lassen sich dann daraufhin unter­suchen, wie sie dieses Kollek­tiv „rein“ zu hal­ten ver­suchen, seine Gren­zen hinge­gen scharf markieren.

Diese Poli­tiken der Dif­ferenz werde ich anhand mein­er ethno­grafis­chen Beobach­tun­gen zu jün­geren Auseinan­der­set­zun­gen um Flucht, Migra­tion und Gren­ze exem­plar­isch analysieren. Flüch­t­ende und Migrant_​innen aus dem Glob­alen Süden, die seit dem Som­mer 2021 über die belaru­sis­che Gren­ze Zugang nach Polen sucht­en, wur­den zum Zielob­jekt von Entrech­tung, staatlich­er Gewalt und medi­alen Has­skam­pag­nen. Die Regierung und ihre medi­alen Ver­bün­de­ten ver­sucht­en diese Prax­en durch einen kat­e­go­ri­alen Auss­chluss der Schutz­suchen­den als legit­im, wenn nicht sog­ar als notwendig, erscheinen zu lassen. Diese Prozesse der Ras­si­fizierung möchte ich als Teil ein­er san­ft-autoritären Herrschaft­sprax­is unter­suchen: Sie schaf­fen antag­o­nis­tis­che Andere und etablieren hier­durch zugle­ich eine durch Abwehr ver­bun­dene moralis­che Gemein­schaft, der gegenüber allein die Regierung Verpflich­tung zeigt.

Wenn Sie an dieser Ver­anstal­tung online teil­nehmen möcht­en, wen­den Sie sich bitte an Elis­a­beth Wolff unter e.wolff(at)stud.uni-goettingen.de

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